November 16, 2025 JBS

Edy Brunner: Kunst jenseits der Kategorien

Edy Brunner ist ein Schweizer Künstler, dessen multidisziplinäres Œuvre Fotografie, konzeptuelle Arbeiten, Objektkunst/Multiples sowie Arbeiten im öffentlichen Raum verbindet.

Ein Porträtfoto des Schweizer Künstlers Edy Brunner, der eine schwarze Lederjacke, einen dunkelblauen Pullover und einen grauen Schal trägt, vor einem weißen Hintergrund.
Edy Brunner: Schweizer Künstler

Brunner's Vorgehen ist systematisch-konzeptuell: Idee vor Medium, Präzision dank gestalterischer Ausbildung.


Der Künstler der vielen Formen

Ein einziges Kunstwerk enthält die gesamte Fernsehübertragung der Apollo-11-Mission, 23.688 Einzelbilder, jedes in einen bildschirmähnlichen Plastikrahmen gefasst, in vertikaler Abfolge auf elf Tafeln montiert und zu einem Tableau von fast 10 Metern Länge zusammengefügt.

Dieses monumentale Werk, „Apollo 11“ (1969), ist nicht nur ein Dokument; es ist der definitive Einstiegspunkt in das Universum seines Schöpfers, des Schweizer Künstlers Edy Brunner.

Es ist das Produkt eines methodischen Geistes, der ein historisches Medienereignis in ein rigoroses visuelles System überführte, eine Leistung, die ebenso viel mit konzeptionellem Design wie mit bildender Kunst zu tun hat.

Das Werk stellt die zentrale These seiner gesamten Laufbahn auf: Edy Brunner ist ein Künstler, der sich konsequent der Kategorisierung entzieht, dessen Schaffen sich über zahlreiche Disziplinen erstreckt und dessen einzige Konstante die systematische Erkundung der Form selbst ist.

Welche Ausbildung liegt einem solch breit gefächerten künstlerischen Schaffen zugrunde?

Die Antwort findet sich in den präzisen und pragmatischen Anfängen seiner Karriere, lange bevor er die internationale Kunstbühne betrat.

Die Fundamente: Vom Gestalter zum Künstler

Edy Brunners frühe Ausbildung im kommerziellen Design war kein Umweg, sondern das strategische Fundament seiner späteren künstlerischen Praxis.

Die Disziplin und technische Präzision, die er in der Retusche und im Grafikdesign erlernte, prägten seine Fähigkeit, komplexe Ideen mit äußerster Klarheit umzusetzen.

Diese handwerkliche Grundlage verlieh seiner konzeptionellen Arbeit eine seltene Form von Greifbarkeit und methodischer Strenge, die sein gesamtes Werk durchzieht.

Sein beruflicher Weg in diesen prägenden Jahren verlief stringent und zielgerichtet: Nach seiner Ausbildung zum Retoucheur (1959–1963) unternahm er Volontariate als Grafiker bei der renommierten Agentur Gerstner, Gredinger und Kutter in Basel (1964–1966), einem Epizentrum des Schweizer Grafikdesigns.

Eine Weiterbildung zum Designer im Atelier Kronenberg in Luzern (1966/67) vertiefte seine gestalterischen Fähigkeiten.

Mit der Eröffnung seines eigenen Ateliers für Gestaltung und Design in Zürich im Jahr 1968 markierte er den Beginn seiner Selbstständigkeit.

Diese Jahre in der angewandten Kunst gaben ihm eine einzigartige Perspektive.

Er verstand es, visuelle Systeme zu entwickeln und Projekte von der Konzeption bis zur finalen Ausführung zu steuern.

Als er sich schließlich der freien Kunst zuwandte, tat er dies nicht als Träumer, sondern als versierter Gestalter, der wusste, wie man eine Idee in eine materielle Form überführt. Dieser Übergang fand schnell institutionelle und kritische Anerkennung.

Frühe Anerkennung und internationale Präsenz

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren erlebte die Kunstwelt einen tiefgreifenden Wandel.

Starre Gattungsgrenzen wurden infrage gestellt, und die Idee hinter einem Werk wurde wichtiger als seine materielle Ausführung.

In diesem Klima des Umbruchs resonierte Brunners konzeptioneller und multidisziplinärer Ansatz tief mit den kritischen Anfragen der Ära an die Medienspezifität.

Die Anerkennung manifestierte sich in einer Reihe bedeutender Auszeichnungen und Stipendien, die seine Position in der Schweizer Kunstszene festigten:

  • Kiefer-Hablitzel Stipendium (1969)

  • Mehrere Eidgenössische Kunststipendien (1969, 1970, 1971)

  • Studienaufenthalte am Istituto Svizzero di Roma, die ihm für die Jahre 1971 und 1972 gewährt wurden und das starke Vertrauen der Institution in sein Potenzial unterstrichen.

Diese Auszeichnungen ermöglichten ihm nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern öffneten auch die Türen zu einer internationalen Karriere.

Seine Teilnahme an wichtigen Gruppenausstellungen belegt seine rasche Etablierung weit über die Grenzen der Schweiz hinaus.

Dazu zählten Auftritte bei „The Swiss Avantgarde“ im New York Cultural Center (1971), der 4a Biennale di Bolzano (1971) und schließlich die prestigeträchtige Präsentation im Schweizer Pavillon auf der Biennale di Venezia (1976).

Diese frühe Phase zementierte seinen Ruf als ernstzunehmender Künstler und gab ihm die Freiheit, seine Forschungen in den verschiedenen Medien, insbesondere der Fotografie, weiter zu vertiefen.

Fotografie als konzeptionelles Werkzeug

Für Edy Brunner ist die Fotografie nie nur ein Mittel zur Abbildung der Realität.

Er nutzt die Linse vielmehr als analytisches und konzeptionelles Werkzeug, um Zeit, Raum und Wahrnehmung zu untersuchen, mit der Präzision eines Designers, der ein visuelles Problem löst.

Sein Werk umfasst zwar auch klassische Genres wie Landschafts- und Architekturfotografie, doch sein Ansatz geht weit darüber hinaus und schliesst experimentelle Formen wie Fotogramme und Heliografie ein.

Die Entwicklung seiner fotografischen Arbeit lässt sich in zwei zentrale Bereiche gliedern:

  • Konzeptuelle Fotografie: Das Projekt „Apollo 11“ ist hierfür das Paradebeispiel. Mit der Technik der Sukzessionsfotografie, dem seriellen Aufnehmen von Einzelbildern in festgelegten Intervallen, transformierte er einen flüchtigen medialen Moment in ein monumentales, physisches Objekt.

  • Panoramafotografie und Publikationen: Ab 1983 wandte sich Brunner intensiv der Schwarz-Weiß-Panoramafotografie zu. Dieses Format ermöglichte es ihm, Landschaften und städtische Räume in einer umfassenden, fast filmischen Breite zu erfassen.

Doch Brunners künstlerische Vision blieb nicht auf das zweidimensionale Bild beschränkt.

Die Anwendung seines räumlichen und systematischen Denkens auf den bürgerlichen Raum war die logische Weiterentwicklung seiner Praxis.

Kunst im öffentlichen Raum: Gestaltung des Zivilen

Die Tradition der „Kunst am Bau“ hat in der Schweiz einen besonderen Stellenwert und bietet Künstlern die Möglichkeit, ihre Arbeit aus dem geschützten Raum der Galerie in den Alltag der Menschen zu integrieren.

Edy Brunner nutzte diese Gelegenheit, um seine gestalterischen und konzeptionellen Fähigkeiten in großem Maßstab umzusetzen.

Seine öffentlichen Projekte sind keine isolierten Skulpturen, sondern komplexe Interventionen, die von der pragmatischen Logik seiner Designausbildung geprägt sind.

Zwischen den 1970er und 1980er Jahren realisierte er mehrere bedeutende öffentliche Aufträge.

Seine Arbeit umfasste dabei nicht nur Kunst am Bau wie für das Projekt Heuried in Zürich (1972/76), sondern auch die umfassende Gestaltung von Brunnen und Plätzen für Institutionen wie VITA in Zürich (1978/80) und Serono SA in Aubonne (1982/84).

Ein besonderes Projekt war der „Wasserspiegel auf der Limmat“ für die 2000-Jahr-Feier der Stadt Zürich (1986).

Seine Expertise erstreckte sich auf Installationen für den Messebau, was die fließende Grenze zwischen seiner künstlerischen und gestalterischen Arbeit unterstreicht.

Diese Werke demonstrieren seine Fähigkeit, von der intimen Studioarbeit zu dauerhaften, großformatigen Installationen zu wechseln, die eine funktionale und ästhetische Rolle im öffentlichen Leben spielen.

Die Haptik der Idee: Objekte und Multiples

Parallel zu seinen fotografischen und öffentlichen Arbeiten schuf Brunner Objekte und sogenannte „Multiples“.

Multiples sind seriell hergestellte Kunstobjekte, die die traditionelle Vorstellung vom einzigartigen Kunstwerk infrage stellen.

Sie demokratisieren den Zugang zur Kunst und stellen die dahinterstehende Idee über die Einzigartigkeit des physischen Objekts, ein Konzept, das perfekt zu Brunners intellektuellem Ansatz passt.

Seine späteren Multiples aus dem Jahr 2015 sind prägnante Beispiele für seine Fähigkeit, komplexe Ideen in einfache, aber poetische Formen zu übersetzen:

  • Lichtwischer (2015): Ein Objekt aus Plexiglas mit vier Pinseln (26 x 26 x 5 cm), das auf spielerische Weise die Geste des Malens mit der Transparenz des Materials verbindet.

  • Schrauben (2015): Eine variable Skulptur aus verchromtem Stahl (ca. 10 x 10 x 14 cm), die den Betrachter zur Interaktion einlädt und sich ständig verändern kann.

In einer Monografie, die seinem Werk gewidmet ist, wurde die Herausforderung seiner Praxis mit einer rhetorischen Frage zusammengefasst:

Wie fare per descivere un artista che lavora in un range così ampio, che va dall'arte concettuale a quella cinetica, dall'arte seriale alla land art, passando per la progettazione di spazi pubblici... e alla fotografia?

(Wie beschreibt man einen Künstler, der in einem so breiten Spektrum arbeitet, das von konzeptioneller bis zu kinetischer Kunst, von serieller bis zu Land Art reicht und dabei die Gestaltung öffentlicher Räume... und die Fotografie durchquert?)

Diese Vielseitigkeit ist kein Zeichen von Unentschlossenheit, sondern das bestimmende Merkmal eines Künstlers, der sich nie mit einer einzigen Antwort zufriedengab.

Ein Lebenswerk jenseits der Schubladen

Edy Brunner lässt sich am besten als „poliedrico artista“, als vielseitiger Künstler, beschreiben, dessen Karriere von einer unermüdlichen Neugier und dem souveränen Überschreiten von Mediengrenzen geprägt ist.

Von seiner grundlegenden Ausbildung als Grafiker über seine frühen konzeptionellen Erfolge bis hin zu seinen späteren fotografischen Werken und öffentlichen Skulpturen hat er stets neue Wege gesucht, seine Ideen auszudrücken.

Sein Werk liegt daher nicht in einem einzelnen, ikonischen Stil, sondern in seiner konsequenten Weigerung, sich auf einen solchen festlegen zu lassen.

Er ist Konzeptkünstler, Fotograf, Designer und Bildhauer zugleich.

Dass er auch Jahrzehnte nach seinem Durchbruch relevant bleibt, beweist seine fortwährende Aktivität, wie etwa ein Künstlergespräch im renommierten Fotomuseum Winterthur im Jahr 2019.

Edy Brunners Schaffen stellt ein umfassendes Modell künstlerischer Praxis dar, das die Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst auflöst und beweist, dass die stärkste künstlerische Identität manchmal darin besteht, keine feste Identität zu haben.

Edy Brunner ist ein Schweizer Künstler, dessen multidisziplinäres Œuvre Fotografie, konzeptuelle Arbeiten, Objektkunst/Multiples sowie Arbeiten im öffentlichen Raum verbindet.

Edy Brunner: FAQ

Edy Brunner ist ein Schweizer Künstler, der Fotografie, Konzeptkunst, Design und Objektkunst verbindet. Er wurde 1943 in Bern geboren und lebt heute im Tessin und in Zürich.

Er arbeitet mit Panorama-Fotografie, konzeptuellen Foto-Serien, Objekten und Projekten im öffentlichen Raum, darunter Platz- und Brunnenanlagen.

Bekannt ist er für systematische Fotoarbeiten wie *Apollo 11* sowie für seine präzisen Panoramaaufnahmen und dokumentarischen Serien, etwa über Kirchen im Val Maggia.

Seine Arbeiten sind in Museen, privaten Sammlungen und Ausstellungen in der Schweiz und im Ausland vertreten. Informationen zu aktuellen Projekten finden Sie auf seiner Website.

Er lernte zunächst Fotoretusche und arbeitete anschließend als Grafiker und Designer. Später führte er ein eigenes Atelier in Zürich.

Sie dient ihm als konzeptuelles Werkzeug. Er nutzt sie, um Zeit, Raum und Wahrnehmung sichtbar zu machen, häufig in streng konstruierten fotografischen Sequenzen.

Ja. Er erhielt mehrere Eidgenössische Stipendien sowie ein Stipendium der Kiefer-Hablitzel Stiftung. Studienaufenthalte in Rom und Venedig erweiterten seine künstlerische Entwicklung.

Sie zeigen Räume in präziser, klarer Struktur und entstehen mit Spezialkameras im Großformat. Die Motive reichen von urbanen Szenen bis zu sakralen Innenräumen.

Seine Installationen und Platzgestaltungen verbinden Gestaltung, Architektur und künstlerische Intervention. Sie schaffen Orientierungspunkte und definieren Räume neu.

Für Kunstliebhaber, Fachpublikum, Studierende, Architekturinteressierte und alle, die sich für konzeptuelle Fotografie, Designgeschichte und visuelle Systeme interessieren.

Ein grafisches Bild im Hochformat mit dem schwarzen, fettgedruckten Text „Glossar der Fotografie Kunst“ auf weißem Hintergrund. Die Wörter sind untereinander angeordnet und werden von abstrakten, kantigen schwarzen Formen und Texturverläufen, einschließlich eines Halbtoneffekts, überlagert und durchbrochen, was einen modernen, dekonstruierten Stil erzeugt.

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